ATELIER COURAGE - Claudia Vonderlind
traumasensible, tiefenpsychologische Kunsttherapie, psychologische Beratung, künstlerische Selbsterfahrung & kreative Selbstfürsorge, Workshops & Kunst
"Therapeutische Arbeit unter feministischen Gesichtspunkten bedeutet davon ausgehen, daß weibliche und männliche hilfesuchende Personen auf Grund der „Zurichtung“ zu einem bestimmten Geschlecht mit völlig verschiedenen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Bedürfnissen in die Therapie kommen, selbst wenn auf den ersten Blick Ähnlichkeiten zu bestehen scheinen."
- Eichenbaum, Luise/Orbach, Susie: Frauen unter sich. Feministische Psychotherapie.
München 1989.
2. November 2022
Einleitung Abschlussarbeit
if nobody sees it, it isn't true
aus Prinzessin Hamlet von E. L. Karhu
Sichtbarkeit. In allem was ich tue und bin, strebe ich nach Ausdruck. Meinen inner-psychologischen und emotionalen Prozessen über künstlerische Mittel, Raum zu geben und sie sichtbar werden zu lassen. Ich verstehe mich als Forschende in allen Bereichen des Lebens und allen Rollen beziehungsweise Lebensabschnitten die ich bis hierhin er- und durchlebte. Sie lehrten mich im weitsichtigen und differenzierten Denken. Um Beispiele zu nennen: Die Prägung durch meine Eltern (die beide schon einmal verheiratet waren und jeweils Kinder mit in die neue Beziehung brachten) und das christlich-ökumenische Gemeindeleben, welches sie gegen alle Schwierigkeiten in der ehemaligen DDR lebten. In der Gemeinde wurde besonderer Wert auf Reflexion, ethische Grundhaltungen und soziales Miteinander gelegt und das spiegelte sich auch im Familienleben wider. Beides trug maßgeblich zur Entwicklung meiner Art zu Denken, bei. Genauso prägte mich, auf der emotionalen- und bindungsebene, der Suizid meines biologischen Vaters und dem was er strukturell-gesellschaftlich für meine Mutter und ihre ,bis dato, zwei Kleinkinder bedeutete und hinterließ. Es machte mich feinfühlig für das Leid anderer, vor allem vermehrt für die Auswirkungen des Lebens in unserem System als Frau und als Mutter, ich lernte das Blicken „hinter die Fassade“.
Im Laufe meines Heranwachsens kamen die großen Fragen des Lebens hinzu und so
beschäftigte ich mich mit philosophischen Theorien, Quanten-Physik, Biologie und es schien fast schon logisch, dass die Psychologie zu mir kam. Die Kunst und die Musik war und ist zeitlebens ein Motor, ein „Sinn“ für mich die Welt zu begreifen und mit ihr zu kommunizieren.
Heute bin ich die älteste Schwester von vier jüngeren Schwestern und habe dadurch noch mehr Einblicke bekommen was es heisst eine weiblich gelesene Person zu sein und zu werden. Ein nicht ganz unwichtiger Erfahrungsmoment in meiner Biografie, der mich weitere erlebte Erfahrungen und Beobachtungen machen ließ, ist der Umzug unserer Familie nach der Wende aus den neuen Bundesländern in die alten Bundesländer. Auch das war einschneidend für mich. Mehr sicher noch für meine Eltern. Heute bewundere ich sie für ihren Mut und des sich Zurücknehmens, damit es die Kinder "mal besser haben". Hier erlebte ich einen Riss in den unterschiedlichen Wertesystemen der Menschen denen ich nun gegenüberstand und den Werten mit denen ich aufwuchs. Dem was es zu bedeuten hatte eine „Frau in den alten Bundesländern“ zu sein.
Fortlaufend schärfte sich so mein Blick für das differenzierte Beobachten/Wahrnehmen
von gesellschaftlichen Konstrukten, Normen, Formen, Rollenbildern und der zum Teil
ungesunden und destruktiven Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen in meinem Umfeld und später auch weiteren Bereichen. Da ich als weiblich gelesene Person im Patriarchat aufwuchs und auch so erzogen wurde, lernte ich schnell, was es bedeutet eine „Frau“ zu sein, welche Rollen es für die Frau gibt und die es auszufüllen gilt, um „geliebt“ zu werden, um von einem (bestenfalls) heiratswilligen Mann „erwählt“ zu werden. Auf dem Weg zum „Frauwerden“ wurde mir in vielen kleinen, fast unsichtbaren Situationen, aber auch in erschreckend-brutalen Situationen deutlich (gemacht), wem mein Körper, mein Geist, meine Arbeitskraft, meine biologische Voraussetzung zum Kinder gebären, dient.
So habe ich ich schon als Kind bemerkt: es scheint besser in dieser Welt als Junge geboren zu sein. Besser im Sinne von: Freiheit für Ausdruck und Selbstbestimmung, somit eben auch der Möglichkeit an der Mitgestaltung der Gesellschaft.
Unter diesen Vorraussetzungen schien es unumgänglich zu sein, dass in mein privates
Leben feministische Literatur, Kunst, Filme und Gespräche, einzog. Sicher nicht nur durch Glück sondern durch den Blick dafür. Anfangs war es mir nicht klar, dass ich mich schon deutlich mit der Thematik beschäftigte, beispielsweise in dem studieren der Biografien bekannter Künstlerinnen, wie Frida Kahlo, Marlene Dietrich, Ingeborg Bachmann, Romy Schneider; um einige zu nennen.
Aber auch im künstlerischen erforschen meines Selbst. Ich suchte unbewusst Vorbilder, durch welche ich tiefer eintauchte, da mich Querverweise in den Schriften und Aussagen, zu weiteren deutlich gekennzeichneten feministischen Texten, Dokumentationen und Vorträgen führten.
Mir wurden Wörter, somit eine Sprache, geschenkt, für Dinge die ich wahrnahm und das Gefühl nicht alleine mit meinen Gedanken, Sorgen und Wahrnehmungen zu sein, eben das heilsame Gefühl nicht „die Seltsame, zu Laute, zu Radikale, Verrückte oder Männerhasserin“ zu sein, zu der ich aus dem Munde von Männern, aber auch teilweise Frauen, häufig gemacht wurde, damit ich still bin. Eine Weile funktionierte es, doch ich wurde krank davon und durch eben diese Erlebnisse im Privaten und dem strukturellen Erkennen von Übereinstimmungen im Aussen, habe ich Heute mit fast vierzig Jahren das Selbstvertrauen zu sagen:
Ich bin Feministin. --- Wie kann ich keine sein, mit allem was ich erlebt und gesehen habe?! Es wäre ein Verrat an mir selbst, an allen Frauen und Unterdrückten!
Das Buch „Ihm zu liebe“, von Irmgard Hülsemann, bekam ich 2019 von einem Freund geschenkt und mir war sofort klar „das kritische Instrumentarium“ der feministischen Psychotherapie in meiner Arbeit als Kunsttherapeutin werde ich berücksichtigen.
Laut meiner Beobachtungen ist die feministische Psychotherapie hochaktuell und notwendig, denn wie wir aus der aktuellen und der vorangegangenen Frauenbewegung feststellen, befinden wir uns in einem Antifeministischen Backlash (Rückschritt). So werden im akademischen Bereich, der offensichtlich noch stark von Männern dominiert ist, an Universitäten die Gender-Studies immer weiter abgeschafft, also auch ein intellektueller Backlash, obwohl faktisch der Gender-Pay Gap erforscht wird, Frauen-Beauftragte in Institutionen eingestellt werden, gleichzeitig gibt es im Privaten immer mehr Aufarbeitung mit Büchern, in den sozialen Medien und #metoo in Form von Austausch über eigene Betroffenheit, um die immer noch vorherrschende, aber eher unsichtbare! Ungleichheit bewusst zu machen und um damit auch institutionell Gehör
zu finden und Druck auszuüben.
WICHTIG: Es geht in dem vorliegenden Text mit seinen Beobachtungen/Gedanken und in dem Bemühen um eine gendersensible/re Therapiearbeit NICHT weder darum, Männer gegen Frauen auszuspielen oder die vermeintliche Kluft zwischen den beiden zu vertiefen, noch soll hier zwischen den Zeilen der falsche Eindruck entstehen, dass das Patriarchat von einem
viel besser funktionierenden Matriarchat abgelöst werden solle. Sondern Zweck und Ziel bleibt eine glücklichere und gesündere Zukunft für alle Menschen, ohne jede Form von Herrschaft und Machtmissbrauch. Befreiung.